Die Staatsarchive von Cherson - Instytut Pileckiego
26.11.2024 () 18:00
Die Staatsarchive von Cherson
Eine Anleitung zum Überleben unter Besatzung und Beschuss
„Die Staatsarchive der Region Cherson: Eine Anleitung zum Überleben unter Besatzung und Beschuss"
26.11, 18.00 | Pariser Platz 4A, 10117 Berlin | Anmeldung: https://forms.gle/qbKCCgxWj7joDrqQ7
Im Rahmen des diesjährigen Spendenaufrufs „Ukrainische Archive Retten“ haben wir gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und der belarusischen Gemeinschaft RAZAM e.V. Mittel gesammelt, um den Transport und die Sicherung von Dokumenten der Archivabteilung der staatlichen Bezirksverwaltung von Beryslaw zu unterstützen. Vor einiger Zeit erreichte uns die freudige Nachricht, dass dieses Vorhaben erfolgreich umgesetzt wurde. Mit dieser Veranstaltung möchten wir Ihnen für Ihre Unterstützung und Zusammenarbeit danken!
Es sprechen:
Iryna Lopushynska (Direktorin der Staatsarchive von Cherson, Historikerin und Archivarleiterin, spezialisiert auf die Katalogisierung und Aufbereitung von Archivmaterialien. Autorin von über 10 wissenschaftlichen Artikeln, sie stellte 5 Sammlungen von Archivdokumenten zusammen, eine davon, „Speziell deportierte Personen. Aus der Geschichte der Baumwollentwicklung in der Region Cherson in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts“, wurde 2019 mit dem Titel ‚Bestes Buch der Region Cherson‘ ausgezeichnet. 2018 erhielt sie den V. Veretennikov-Preis.)
Dina Shelest (Leiterin der Archivabteilung, im Jahr 1998 schloss sie ihr Studium an der Nationalen Wirtschaftsuniversität Kyjiw ab. Seit 1986 hat sie verschiedene Positionen in der Exekutive inne. Im Jahr 2019 wurde sie zur Leiterin der Archivabteilung ernannt.)
Hanna Lehun (Historikerin und Archivarin bei den Arolsen Archives. Sie forscht zur Geschichte des Nationalsozialismus und der Zwangsarbeit in Europa. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf die Digitalisierung von Archivmaterialien sowie die Förderung internationaler Kooperationen zur Erinnerungskultur und historischen Bildungsarbeit.)
Cherson – ein Stadtname, der vom altgriechischen Wort für Halbinsel abgeleitet ist und mittlerweile, anders als noch vor dem Schicksalsjahr 2022, zahlreiche Bilder in den Köpfen vieler Europäer hervorruft. In den ersten Tage der umfassenden Kriegsinvasion Russlands war Cherson Schauplatz intensiver Gefechte zwischen russischen und ukrainischen Einheiten. Im März 2022 wurde die Stadt dann von Russland eingenommen und symbolisierte bis in den Sommer hinein eine düstere Vorahnung über den kurzfristigen weiteren Kriegsverlauf. Doch das Blatt wendete sich entscheidend im September 2022 mit der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive, der es gelang, die russischen Truppen bis an den Dnipro zurückzudrängen.
Am 11. November 2022 gelang die Befreiung der Stadt durch ukrainische Truppen. Die weltweit gezeigten Bilder von jubelnden Einwohnern, die die ankommenden ukrainischen Soldaten umarmten, wirken bis heute als Zeichen der Hoffnung.
Doch das Leben in Cherson blieb schwierig. Fortwährender Beschuss und die Überflutungen, die durch die Zerstörung der Kachowka-Stauanlage verursacht wurden, stellen die Stadt bis heute vor große Herausforderungen. Die Archive der Region Cherson stehen dabei symbolisch für den Überlebenskampf einer ganzen Gesellschaft. Inmitten der Besatzung und der späteren Befreiung war das Schicksal der Archive ungewiss – sie mussten geschützt, gerettet oder evakuiert werden. Ihre Bestände erzählen die lang zurückreichende Geschichte der Region, während die Erfahrungen ihrer Mitarbeiter die jüngsten historischen Gegebenheiten verkörpern.
Während der russischen Besatzung wurden viele Archivbestände geplündert, Gebäude zerstört oder beschädigt, darunter auch die Einrichtungen in Welyka Oleksandriwka, Wysokopillja und Beryslaw. In dem Vortrag wird deswegen Filmmaterial gezeigt, das die Vorgehensweise der russischen Soldaten dokumentiert. Gezeigt wird auch, welch enorme logistische und emotionale Herausforderung die Evakuierung und Sicherung von Archivbeständen darstellte.
Sowohl in den ersten Kriegsmonaten als auch während der Überflutungen im Sommer 2023 gelang es, wertvolle Dokumente zu retten und zu bewahren. Nach der Befreiung der Region nahm das Archiv seine Arbeit wieder auf, organisierte die verbliebenen Bestände und begann mit der Wiederherstellung der beschädigten Einrichtungen. Die Geschichte der Archive steht exemplarisch für die Resilienz der ukrainischen Gesellschaft. Unter den Bedingungen des Krieges wurden neue Formate wie „Ausstellungen in Schutzräumen“ entwickelt, um trotz der Sicherheitslage die Entstehung von kulturellen und historisch-politischen Bildungsprojekte zu ermöglichen.
Die Archivare selbst gehen über ihre beruflichen Aufgaben hinaus: Sie arbeiten ehrenamtlich, beteiligen sich an kulturellen Projekten, setzen ihre akademischen Studien fort und leisten einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung.
Mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, darunter Initiativen wie „Ukrainische Archive Retten“, ist es gelungen, die materielle und technische Basis der Archive zu stabilisieren und weiter auszubauen. Diese Bemühungen sichern nicht nur das historische Erbe der Region, sondern stärken auch das kulturelle Selbstbewusstsein einer Gesellschaft, die sich gegen den russischen Angriffskrieg behauptet.
Diese Veranstaltung würdigt in erster Linie die Arbeit, den Einsatz und das enorme Organisationstalent der Archivare. Sie zeigt aber auch, wie wichtig internationale Solidarität und Unterstützung sind. Gemeinsam setzen wir ein Zeichen für den Schutz von Geschichte und Kultur – selbst unter schwierigsten Bedingungen.