Festung Archiv Ukraine - Instytut Pileckiego
24.06.2025 () 18:00
Festung Archiv Ukraine
"Das Staatsarchiv der Region Winnyzja: Polonika, Germanika und Perspektiven für die Forschung"

Im Rahmen der Reihe Festung Archiv Ukraine stellen wir diesmal nicht nur, wie gewohnt, ein ukrainisches Archiv vor, sondern widmen uns auch der Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und polnischen Einrichtungen.
Teilnehmende:
Yuriy Lehun
Liubov Zahorodnia
Moderation: Igor Kąkolewski
Anmeldung für beide Veranstaltungen: https://forms.gle/GRdHuS3f45dfdz7u8
Vortrag am 24.06.2025, 18 Uhr
„Das Staatsarchiv der Region Winnyzja: Polonika, Germanika und Perspektiven für die Forschung“
Pilecki-Institut Berlin, Pariser Platz 4A, 10117 Berlin
Sprache: Deutsch/Ukrainisch (Simultanübersetzung)
Wissenschaftliches Seminar am 25.06.2025, 10 Uhr
„Erfahrungen und Zukunft der polnisch-ukrainischen Zusammenarbeit auf dem archivarischen Gebiet“
Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften
Majakowskiring 47, 13156 Berlin
Sprache: Polnisch/Ukrainisch (wichtig: ohne Übersetzung)
Veranstalter: Pilecki-Institut, das Bundesarchiv, und die Polnische Akademie der Wissenschaften.

Am 24. Juni findet ein Vortrag zu den Beständen des Staatsarchivs der Region Winnyzja statt. Am darauffolgenden Tag schließt sich ein wissenschaftliches Seminar im Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften an. Dort wird beleuchtet, wie das polnische Institut für Nationales Gedenken mit seinen ukrainischen Partnern kooperierte, um Ermittlungsakten zu sichern, welche die sowjetische Verfolgung polnischstämmiger Sowjetbürger in den 1920er- und 1930er-Jahren dokumentieren – insbesondere im Kontext der sogenannten „Polnischen Operation“ des NKWD, bei der bis zu 140.000 sowjetische Bürger polnischer Herkunft verhaftet und rund 80 % von ihnen ermordet wurden.
Was macht das Staatsarchiv der Region Winnyzja so besonders?
Es zählt zu den bedeutendsten historischen Archiven der Ukraine und umfasst über 1,5 Millionen Dokumente: vom ältesten Stück aus dem Jahr 1612 bis in die Gegenwart. Die Ursprünge der Archivtradition reichen bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück, als in der damaligen Woiwodschaft Bratslaw erste Adelsgerichte eingerichtet wurden. Bereits 1580 wird ein Archivzentrum auf der Schlossinsel von Winnyzja erwähnt – es wurde durch einen Brand zerstört.

Die heutigen Bestände spiegeln insbesondere die Geschichte der Region seit dem Anschluss der Ukraine an das Russische Reich (1793) wider, enthalten aber auch zahlreiche Quellen aus der Zeit der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik und der frühen Neuzeit.
Ein thematischer Schwerpunkt liegt auf den sogenannten Polonika, d.h. polnischsprachigen Verwaltungs-, Gerichts- und Adelsdokumenten, die auf die jahrhundertelange Präsenz polnischer Kultur und Rechtstraditionen in Podillien verweisen. Diese Dokumente machen deutlich, dass die polnische Geschichte in der Region nicht als Fremdkörper, sondern als integraler Bestandteil einer vielschichtigen lokalen Vergangenheit zu verstehen ist. Diskutiert wurde auch der Begriff selbst: Während Polonika klassisch als Dokumente zur Geschichte ethnischer Polen im Ausland definiert werden, wurde hier ein weiter gefasstes Verständnis vorgeschlagen – das auch Strukturen der Adelsautonomie, Mehrsprachigkeit und kirchlichen Organisation berücksichtigt.
Auch die sogenannten Germanika bilden einen wichtigen Bestandsschwerpunkt – deutschsprachige Quellen, die von der Präsenz deutscher Kultur, Verwaltung und Bevölkerung in der Region zeugen und ein breites Spektrum vom Alltagsleben bis hin zu kirchlichen und wirtschaftlichen Strukturen abdecken.

Weitere Schwerpunkte bilden die Geschichte der römisch-katholischen Kirche in der Region – auch wenn diese weitaus weniger in den Sammlungen vertreten ist als die orthodoxe Kirche. Die Stiftungsurkunden, Visitationsberichte, Fundusprotokolle und Kirchenbücher, die die katholische Präsenz dokumentieren, reichen vom 18. bis ins 19. Jahrhundert. Ergänzt wird dieser Bestand durch private Nachlässe einflussreicher Familien wie Potocki, Grocholski und Schtscherbatow.
Auch das 20. Jahrhundert ist umfassend dokumentiert: Quellen belegen das kulturelle und schulische Leben der polnischen Minderheit in der Zwischenkriegszeit, die Arbeit polnischer Dorfräte und die sowjetische Minderheitenpolitik. Besonders hervorzuheben ist ein Bestand von über 26.000 Akten zu Opfern politischer Repression im Zusammenhang mit der erwähnten „Polnischen Operation“ des NKWD. Diese und weitere Unterlagen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wurden dem Archiv vom regionalen SBU-Büro übergeben; über 3.700 davon sind bereits digitalisiert.

Wie dringend solche Sicherungsmaßnahmen sind, zeigt sich eindringlich am Beispiel Tschernihiw: Dort wurde 2022 das Gebäude des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) mitsamt seinen Archivmaterialien durch russischen Beschuss zerstört – ein schwerer Schlag, auch wenn die Notwendigkeit großflächiger Digitalisierung bereits zuvor erkannt wurde.
Die Veranstaltung stellt ausgewählte Bestände vor, fragt nach ihrem Forschungspotenzial und diskutiert Perspektiven für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im Bereich der Archivpflege und Digitalisierung – als Beitrag zur Bewahrung eines bedrohten kulturellen Gedächtnisses.
