Das Massaker von Katyń - Instytut Pileckiego

Das Massaker von Katyń

Heue gedenken wir der 22.000 Kriegsgefangenen, die 1940 vom sowjetischen NKWD brutal ermordet wurden.

Das Massaker von Katyń - der Massenmord an den polnischen und intellektuellen Eliten.

Zum Jahrestag des Katyń-Massakers erinnern wir an Fakten, die nicht alt werden und mehrere niederschmetternd aktuelle Kontinuitätslinien aufweisen: Kriegsziele, Kriegsmethoden und Kriegspropaganda.

Heue gedenken wir der 22.000 Kriegsgefangenen, die 1940 vom sowjetischen NKWD brutal ermordet wurden.

Nach dem sowjetischen Einmarsch am 17. September 1939 wurden zunächst in den von der UDSSR annektierten ostpolnischen Gebieten im Oktober Schauwahlen durchgeführt, welchen unmittelbar eine wütende Sowjetisierungspolitik folgte: Anfangs Erschießungen, Verhaftungen und Verurteilungen, dann Deportationen in russische Gulags. Prof. Andrzej Paczkowski geht davon aus, dass zwischen 1939 und 1941 etwa eine Million polnische Bürger verhaftet, deportiert, gefoltert oder auf sonstige Weise unterdrückt wurde. Er schätzt die Zahl der Todesopfer auf etwa 90.000 bis 100.000. Ein besonderes Ziel der sowjetischen Besatzungsmacht: die polnische Elite.

Bereits am 19. September 1939 richtete Lawrenti Beria beim NKWD eine „Verwaltung für Kriegsgefangene und Internierte“ ein und ordnete die Schaffung eines Netzes von Lagern an. Anfang Oktober 1939 begannen die sowjetischen Behörden, einen Teil der Kriegsgefangenen zu entlassen. Gleichzeitig wurde beschlossen, zwei „Offizierslager“ in Starobelsk und Kozelsk sowie ein Lager in Ostaschkow aufzubauen.

Ende Februar 1940 wurden in den genannten Lagern etwa 15.000 Menschen gefangen gehalten - Reserveoffiziere, die bei Kriegsausbruch zur Armee einberufen worden und zu einem großen Teil Vertreter der polnischen Intelligenz waren: Ärzte, Juristen, Schul- und Universitätslehrer, Ingenieure, Schriftsteller, Journalisten, politische Aktivisten, Staats- und Kommunalbeamte und Grundbesitzer. Neben ihnen gab es in den Lagern auch katholische, orthodoxe, protestantische und jüdische Geistliche.

Wann wurde die Entscheidung zum Katyn-Mord getroffen?

Die Entscheidung zur Ermordung der polnischen Kriegsgefangenen aus den Lagern in Kozelsk, Starobelsk und Ostaschkow sowie der Kriegshäftlinge aus den NKWD-Gefängnissen, die sich in den polnischen Vorkriegs-Ostprovinzen befanden, wurde auf höchster Ebene der sowjetischen Behörden in einem vom 5. März 1940 datierten Brief von Lawrenti Beria an Stalin getroffen: Die im Brief genannten Polen seien „hartgesottene Feinde der sowjetischen Behörden und somit unfähig zur Besserung“. Sie alle „seien zu erschießen ohne Vorladung und Vorlegung der Anschuldigungen, ohne Anklage, ohne Prozess“.

Am 3. April 1940 begann die Liquidierung des Lagers Kozelsk, zwei Tage später dann der Lager in Starobelsk und Ostaschkow. In den nächsten sechs Wochen wurden die Polen gruppenweise aus den Lagern zu den Tötungsstätten transportiert. Insgesamt wurden 14 587 Menschen aus diesen Lagern in Katyń umgebracht.

Hinzu kommen weitere 7300 Todesopfer aus Straflagern, die in den von der UDSSR einverleibten Gebieten in Betrieb genommen wurden: Mitglieder von Untergrundorganisationen, Offiziere, die im September 1939 nicht mobilisiert worden waren, Staats- und Kommunalbeamte und aus Sicht der sowjetischen Behörden „gesellschaftlich gefährliche Elemente“ darstellten.

In der Nacht vom 12. auf den 13. April 1940 wurden zudem die hinterbliebenen Familien Opfer einer von den sowjetischen Behörden durchgeführten Massendeportation tief in die UdSSR. Nach den Angaben des NKWD wurden bei dieser Deportation insgesamt etwa 61 000 Menschen hauptsächlich nach Kasachstan geschickt.

Die Information über die Entdeckung von Massengräbern in Katyn wurde von den Deutschen am 11. April 1943 bekannt gegeben.

Am 15. April 1943 teilte das sowjetische Informationsbüro daraufhin mit, dass polnische Kriegsgefangene bei Bauarbeiten westlich von Smolensk beschäftigt waren und „im Sommer 1941, nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus dem Smolensker Gebiet, in die Hände deutscher faschistischer Henker gefallen sind.“

Am selben Tag wies die polnische Exilregierung ihre Vertretung in der Schweiz an, das Internationale Rote Kreuz zu bitten, eine Kommission zur Untersuchung der freigelegten Gräber einzurichten. Zwischenzeitlich hatte die deutsche Seite auch das IKRK gebeten, eine solche Untersuchung einzuleiten, um den Eindruck erwecken zu lassen, die Vorgehensweise der polnischen Regierung und des Dritten Reichs seien miteinander abgesprochen und um auf diesem Wege einen Konflikt zwischen den Alliierten zu provozieren.

Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch: „Die Katyń-Affäre entwickelt sich zu einer gigantischen politischen Affäre, die weitreichende Auswirkungen haben kann. Wir nutzen sie mit allen Mitteln aus.“

Bei einem Besuch im Kreml am 3. Dezember 1941 fiel in Anwesenheit des polnischen Ministerpräsidenten Władysław Sikorski, General Władysław Anders und Kommissar Molotow die berüchtigte zynische Bemerkung Stalins, die polnischen Offiziere seien "in die Mandschurei geflohen".

Zwei Jahre später reagierte Moskau sehr scharf auf die vorgeschlagene Untersuchung durch den ICC. Am 19. April 1943 veröffentlichte die sowjetische Tageszeitung Prawda den Artikel „Die Polnischen Helfer Hitlers“: „Die polnischen Führer folgten auf unverzeihliche Weise der hinterhältigen Provokation von Goebbels und unterstützten in der Tat abscheuliche Lügen und verleumderische Erfindungen der Henker der polnischen Nation.“

Angesichts der sowjetischen Blockade der Katyń-Untersuchung durch das IKRK organisierten die Deutschen ihre eigene Untersuchung. Am 28. April 1943 traf auf Einladung der deutschen Behörden eine Gruppe internationaler Experten für Gerichtsmedizin und Kriminologie unter Vorsitz von Dr. Ferenc Orsós, dem Direktor des Instituts für Rechtsmedizin in Budapest, am Tatort ein. Die Experten unterzeichneten einstimmig einen Bericht, der besagte, dass polnische Kriegsgefangene im März und April 1940 hingerichtet wurden.

Die Enthüllung des Verbrechens durch die Deutschen diente den Sowjets als Vorwand, die diplomatischen Beziehungen zur polnischen Regierung in London abzubrechen. Am 21. April 1943 schickte Stalin geheime, nur aus einem Satz bestehende Depeschen an Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill, in denen er die Regierung von General Sikorski beschuldigte, in Absprache mit Hitler eine feindliche Kampagne gegen die Sowjetunion zu führen.

In der Nacht vom 25. auf den 26. April 1943 brach Moskau formell die diplomatischen Beziehungen zur polnischen Exilregierung ab. Es war der erste Schritt des sowjetischen Diktators, eine eigene Marionettenregierung in Polen zu schaffen.

Polen erhielt keinerlei Unterstützung von den Führern der Westmächte, die am alliierten Bündnis mit Stalin um jeden Preis festhalten wollten, selbst für den Preis der Verschleierung der Wahrheit über das Verbrechen von Katyń.

Nach der Besetzung von Smolensk Ende September 1943 durch die Rote Armee ernannten die sowjetischen Behörden die sogenannte Burdenko-Sonderkommission zur Untersuchung des Falles Katyń. Wenig überraschend: Ihr Urteil lautete, dass die Deutschen das Verbrechen zwischen September und Dezember 1941 begangen haben sollen.

Während der Nürnberger Prozesse 1945, führten die Sowjets eine Anklage zum Massaker von Katyń in die Anklageschrift ein. Allerdings ließ das Nürnberger Tribunal in seinem Urteil 1946 die Ermordung der polnischen Offiziere aus Mangel an Beweisen weg.

Nach 1945 wurde das Katyn-Massaker im Ostblock jahrelang entweder verschwiegen oder, wenn es nicht anders ging, aktiv propagandistisch bekämpft. Als die sogenannte Madden-Kommission des US-Kongresses ihre Tätigkeit in den Jahren 1951-1952 aufnahm und u.a. Zeugen der Exhumierung von 1943 befragte (mit dabei Józef Mackiewicz), in Zusammenarbeit mit Vertretern der polnischen Exilregierung verfügbare Beweise verifizierte und zu dem Schluss kam, dass die Sowjetunion für „eines der barbarischsten internationalen Verbrechen der Weltgeschichte“ verantwortlich ist, veröffentlichte der stalinistisch-parteitreue Publizist Bolesław Wójcik das Buch „Die Wahrheit über Katyń“. Darin wurden die Schlussfolgerungen der sowjetischen Burdenko-Komission wiederholt und die USA beschuldigt, Hitlers Thesen propagandistisch auszuschlachten.

Doch auch international gab es vereinzelt Stimmen, die das sowjetische Narrativ übernahmen. Ein prominentes Beispiel ist hier z.B. der vor einigen Jahren verstorbene prominente marxistische Historiker Eric Hobsbawm und sein Buch „Das Extreme Jahrhundert“ oder der pro-castro Publizist Richard Gott, welchem vor einer Weile allerdings auch die Zusammenarbeit mit dem KGB nachgewiesen wurde.

Indes ließ das polnische kommunistische Parteioberhaupt Władysław Gomułka 1956 in einem geschlossenen, parteiinternen Treffen durscheinen lassen, dass es „zwei Interpretationen der Geschehnisse rund um Katyń” gäbe, eine sowjetische und amerikanische. Die polnische müsse „vernunftgeleitet“ sein und „reale geopolitische Gegebenheiten“ miteinbeziehen. In den 60er Jahren wurde alles dafür getan, Katyń aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen, sodass sogar die polnische Enzyklopädie PWN ohne einen einzigen Eintrag zu Katyń auskam. Infolge des gesteigerten internationalen Interesses in den 70er Jahren und des Entstehens einer realen politischen Opposition in Polen, wurde 1978 abermals der Versuch unternommen, an der propagandistischen Front das Ruder umzureißen mit einem Büchlein, welches explizit an die polnische kommunistische Armee gerichtet war.

„Dzieje sprawy Katynia“ von Jerzy Łojek hingegen gilt als das erste Buch, in welchem das Massaker von Katyń faktengerecht aufbearbeitet wurde. Zu der Zeit war Katyń noch Teil der Zensurrichtlinien – man durfte darüber kein Wort verlieren. Deswegen wurde das Buch illegal in einem oppositionellen Verlag unter dem Pseudonym Leopold Jerzewski veröffentlicht.

In Russland wurde die Katyn-Lüge bis zum Ende der UDSSR aufrechterhalten und erst am 13. April 1990 widerrufen, als ein TASS-Kommuniqué den sowjetischen Geheimdienst NKWD für schuldig am Katyń-Massenmord erklärte. Dokumente, die auf die Verantwortung des Politbüros der VKP(b) für das Massaker von Katyń hinwiesen, wurden 1992 vom russischen Präsidenten an Polen übergeben.

Große Verdiente für die geschichtliche Aufarbeitung hatten zivilgesellschaftliche Organisationen wie das mittlerweile verbotene und verfolgte Memorial oder Publizisten wie Wladimir Bukowski, welcher heimlich versteckte Kreml-Dokumente eingescannt hatte. Nach Putins Übernahme stockte der weitere Dokumentenverkehr zwar, aber noch 2010, als Premierminister, schrieb er, „dass die Erinnerung an die Verbrechen nicht versteckt und verheimlicht werden kann". Und er fügte hinzu: "Polnische und russische Historiker arbeiten zur Zeit daran, diese Wahrheit aufzudecken und eine Öffnung zwischen unseren Ländern zu ermöglichen.“

Davon konnte 2020 nicht mehr die Rede sein, als er in einem bei National Interest veröffentlichten Artikel die These formulierte, Katyń sei von Hitler-Kollaborateuren begangen worden. Wenige Sätze später bezeichnete er Polen als die größten Hitler-Kollaborateure – eine neue propagandistische Lesart.

Mittlerweile wurde in Russland ein Gesetz erlassen, welches die „Gleichsetzung des Dritten Reichs und der Sowjetunion“ mit einer Haftstrafe ahndet. Ein Gesetz, welches auch weitreichende Folgen hat für die offiziell anerkannte und einzige erlaubte Interpretation des Katyń-Massakers in Russland.

Der Historiker Dr. Witold Wasilewski qualifiziert das Massaker von Katyń als Genozid: „Die Opfer gehörten zur Elite der polnischen Gesellschaft und das war der Hauptgrund, warum die Kommunisten sie vernichten wollten. Sie wurden Opfer eines klassischen Völkermordes, bei dem nicht konkrete und gerichtlich bewiesene Taten über den Tod entscheiden, sondern die Zugehörigkeit zu einer nationalen, ethnischen, rassischen, religiösen, politischen oder sozialen Gruppe“.

Filmisch aufbereitet wurde das Massaker von Katyń 2007 von Andrzej Wajda, dessen Vater auch dem stalinistischen Massenmord an polnischen Offizieren zum Opfer gefallen war. Der Film stellte dieses außerhalb Polens bis dato größtenteils nur Fachleuten bekannte Ereignis erstmalig einem breiteren internationalen Publikum vor.

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