Der 81. Jahrestag des Massakers von Wolhynien - Instytut Pileckiego
Der 81. Jahrestag des Massakers von Wolhynien
Einige Überlegungen zu einem gleichermaßen wichtigen und schwierigen Jahrestag im Lichte des gemeinsamen polnisch-ukrainischen Sicherheitsabkommens, das am letzten Montag unterschrieben wurde.
Heute ist der 81. Jahrestag des Massakers von Wolhynien. Einige Überlegungen zu einem gleichermaßen wichtigen und schwierigen Jahrestag im Lichte des gemeinsamen polnisch-ukrainischen Sicherheitsabkommens, das am letzten Montag unterschrieben wurde.
Jedes Jahr wird am 11. Juli in Polen der Nationale Gedenktag für die Opfer des Massakers von Wolhynien begangen: Ukrainische Nationalisten, in erster Linie die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und ihr militärischer Arm, die Ukrainische Aufständische Armee (UPA), verübten einen Massenmord an den Bürgern der Zweiten Polnischen Republik in Ostpolen (in den Grenzen bis 1939). Das Datum wurde nicht zufällig gewählt und erinnert an den sog. Blutsonntag 1943, an welchem ca. 100 polnische Dörfer angegriffen wurden. Wohlwissend, dass sich die meisten Polen an diesem Tag in Kirchen aufhielten, haben die ukrainischen Nationalisten sie dort aufgesucht. Etwa 4000 Polen sind infolge dessen an diesem Tag grausam zu Tode gekommen.
Dies war jedoch nur die Spitze des Eisbergs, insgesamt wurden Schätzungen zufolge bis zu 100.00 Polen getötet.
Eine vollständige, gemeinsame polnisch-ukrainische Aufarbeitung dieser so schmerzhaften Ereignisse hat noch nicht stattgefunden, dennoch sind Fortschritte auf diesem Gebiet sichtbar, nicht zuletzt dank der seit längeren Zeit, trotz gelegentlich auftretender Interessens- und Meinungsunterschiede, außergewöhnlich guten polnisch-ukrainischen Beziehungen. Diese wurden ein weiteres Mal durch das vor wenigen Tagen beschlossene und feierlich unterschriebene bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen Polen und der Ukraine bestätigt. Bemerkenswert ist, dass neben Themen wie der ukrainischen Luftsicherheit, der Lieferung von weiteren MIG29 und der Ausbildung einer freiwilligen ukrainischen Legion in Polen auch historische Themen Einzug erhielten in das Abkommen. "Heute (...) kämpft die Ukraine um ihr Überleben, aber ich bin froh, dass Sie selbst in solch schwierigen Momenten bereit waren, über schwierige Themen unserer Geschichte zu sprechen" sagte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk.
In dem letzten Montag unterzeichneten Abkommen verpflichten sich Polen und die Ukraine, bei der Entwicklung "gemeinsamer Instrumente für die historische Forschung" und "Lehrplanrichtlinien für Schulbücher über die Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden Staaten und Nationen" zusammenzuarbeiten.
Artikuliert wurde auch das gemeinsame Vorhaben, die Zusammenarbeit bei der Durchführung von Nachforschungen, Exhumierungen und anderen Tätigkeiten zur würdigen Beerdigung der Opfer von Konflikten, Repressionen und Verbrechen, die auf den Territorien Polens und der Ukraine begangen wurden, zu intensivieren.
Ein wichtiges Symbol der dieser Tage so gefestigten und engen polnisch-ukrainischen Beziehungen, zumal Russland immer wieder hofft, dieses Thema als Sprengstoff für die polnisch-ukrainischen einsetzen zu können. Hier wird besonders deutlich, wie wichtig Militärhilfe in großem Stile sowie der baldige EU- und Nato-Beitritt für die Ukraine sind. Erst dann können Historiker mit ihren eigentlichen Werkzeugen - Quellen, gemeinsamer wissenschaftlicher Austausch und Konferenzen – arbeiten statt zur Waffe greifen zu müssen. Erst dann können Menschen sich wieder anderen Aktivitäten zuwenden anstatt Tag und Nacht einen Überlebenskampf zu führen im Zuge des russischen genozidalen Angriffskriegs.
Wichtig ist an diesem Tag auch die Erinnerung an all jene Ukrainer, die sich dazu entschieden haben, unter höchster Lebensgefahr ihre polnischen Nachbarn zu retten. Im Auftrag des Pilecki-Instituts wird vom polnischen Präsidenten regelmäßig die sog. #VirtusEtFraternitas-Medaille verliehen: Sie geht an Menschen, die Polen und polnischen Bürger in Notlagen, häufig in historischen Schicksalsmomenten, das Leben retteten.
Wie bereits erwähnt, haben im Rahmen des Massakers von Wolhynien ukrainische Nationalisten schätzungsweise insgesamt bis zu 100.000 Polen (40.000 – 60.000 in Wolhynien, 20.000 – 40.000 im umherliegenden Ostgalizien) ermordet. Die polnische Heimatarmee verübte bis Frühling 1945 mehrere Racheakte, welchen wiederum etwa 10.000 – 12.000 Ukrainer zum Opfer fielen. Nicht nur die Opferanzahl lässt jedem einen Schauer über den Rücken laufen, sondern die selbst für einen Krieg ungewöhnliche Bestialität der verübten Morde.
Häufig wurden Äxte, Beile, Spießer und Messer als Waffen verwendet, ganze Siedlungen in Brand gesetzt, Massenvergewaltigungen begangen und die Opfer zu Tode gefoltert. Der anerkannte polnische Historiker und Experte auf dem Gebiet Prof. Grzegorz Motyka ist zu folgendem Urteil gekommen: „Obwohl die sog. antipolnische Aktion einen Akt der ethnischen Säuberung darstellte, erfüllte sie auch die Kriterien eines Völkermords“. Zugleich muss auch festgehalten werden, dass an den Morden ein verschwindend geringer Teil gewöhnlicher, d.h. nicht im Namen der nationalistischen Organisationen agierender Ukrainer beteiligt waren (<1%).
Bewundert werden sollten all jene Ukrainer, die unter solchen Verhältnissen nicht passiv blieben, sondern alles riskierten, um ihre polnischen Nachbarn zu retten. Sie sollten uns ein Vorbild sein - bereits letztes Jahr wurden mehrere Ukrainer mit der #VirtusEtFraternitas-Medaille ausgezeichnet.
Unter den letztjährigen Ausgezeichneten waren u.a. Ustyna und Sawa Kowtoniuk. Sie und ihre beiden Kinder lebten im westlichen Teil von Kisielin. Am Sonntag, dem 11. Juli 1943, als die Mitglieder der OUN-UPA Polen angriffen und sich in der Kirche versammelten, versteckte die Familie Kowtoniuk mehrere Familien in ihrem Haus und versorgte alle mit Mahlzeiten. Letzteres stellte eine enorme Herausforderung in diesen Verhältnissen dar, ersteres wiederum bedeutete die sichere Todesstrafe.
Heute lebt der Geist solcher Menschen in dem von einem unerschöpflichen, unabdingbaren Freiheitswillen geprägten Widerstand der Ukrainer gegen den russischen Angriffskrieg und den von Russland begangenen Kulturgenozid weiter. Schätzungen zufolge (die allerdings aus dem Jahre 2007 stammen) haben im Zweiten Weltkrieg etwa 1341 Ukrainer ihr Leben riskiert und 2527 Polen gerettet. 384 Ukrainer bezahlten dafür wiederum mit ihrem eigenen Leben. An diesem Thema wird weiter geforscht. Es dürften insgesamt also definitiv mehr sein, denn einige der vom Pilecki-Institut ausgezeichneten Ukrainern waren nicht in dieser Statistik enthalten.
Der ukrainische Star-Historiker Yaroslav Hrytsak arbeitete in seinem Vortrag im Rahmen der Ukraine-Konfernz im Februar im Pilecki-Institut die Hauptfaktoren heraus, welche zu den radikal divergierenden Entwicklungen in der Ukraine und Russland nach dem Zerfall der UdSSR geführt haben. Die Ukrainer bestanden auf demokratischen Wahlen bereits in den frühen 90er Jahren und legten damit den Grundstein für eine in vielerlei Hinsicht zwar unvollkommene, in ihrem Kern jedoch stabile Demokratie, welche auch die ähnlich schmerzhaft wie in Russland verlaufende ökonomische Umwandlung nach dem Niedergang der staatssozialistischen Planwirtschaft zu verkraften wusste. Auch spätere Versuche von russischer Seite aus die freien Wahlen in 2004 und 2014 zu unterminieren erfuhren großen Widerstand dank einer mutigen Zivilgesellschaft. Dieser demokratische Geist erlaubte es auch den Regierungen nach 2014 die Ukraine zu dezentralisieren, wohingegen Putin bereits in seinen ersten Regierungsjahren lokale Gouverneurswahlen abgeschafft hatte. Bei allen Meinungsunterschieden zwischen Polen und Ukrainern, erlaubt es diese demokratische Kultur den Diskurs über schwierige Themen aufzusuchen und ehrlich zu führen.
„Ihre Fähigkeit zur Ermordung von Polen war ein Resultat der deutschen Ausbildung, und ihre Entschlossenheit dazu hatte viel mit dem Wunsch zu tun, das Gebiet vor einem Endkampf mit der Roten Armee von feindlich erscheinenden Personen zu räumen.“ schrieb Timothy Snyder in seinem bekannten Bestseller „Bloodlands“ über die OUN und UPA. Die Vertiefung der oben skizzierten positiven Trends bedarf also einer stabilen geopolitischen Lage und des Fernbleibens aggressiver, totalitär gestimmter Imperien, für welche die Anheizung interethnischer Konflikte ein bewährtes Mittel zur Machterhaltung und Expansion darstellt.
Nie zuvor waren die polnisch-ukrainischen Beziehungen besser als jetzt. Die Conditio sine qua non dafür, dass das auch so bleibt, sind eine offene Erinnerungskultur auf beiden Seiten und gegenseitige Ehrlichkeit. Denn, wie es die Präsidenten beider Länder ebenso simpel wie prägnant auf den Punkt bringen: „Gemeinsam sind wir stärker!“. Genauso wichtig ist aber auch der Nato-Beitritt der Ukraine, denn dieser ist die Grundvoraussetzung für eine geopolitisch stabile Lage in der Region und damit auch für die Weiterentwicklung der so guten polnisch-ukrainischen Beziehungen – trotz der gemeinsamen schwierigen Geschichte und vieler schmerzhafter Erinnerungen.
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