Unser Statement zur heutigen sog. "Friedensdemo" - Instytut Pileckiego

Unser Statement zur heutigen sog. "Friedensdemo"

Einige Anmerkungen zur heutigen sog. „Friedensdemo“ und warum falscher Frieden immer zu echten Tragödien führt. Im Falle des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wäre ein (echter) Genozid die wahrscheinlichste Folge.

Wir werfen weder den Organisatoren noch den Teilnehmern der heutigen Demo vor, dass sie bewusst böse Absichten verfolgen. Gerade unter den Demonstrierenden sind ganz bestimmt nicht wenige dabei, die emotional mitgenommen von dem täglich im Fernsehen und den gängigen sozialen Medien gezeigten Leid der ukrainischen Bevölkerung sind und an eine schnelle Verhandlungslösung glauben möchten. Doch wie George Bernard Shaw einmal feststellte: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, nicht mit schlechten.“

Die erste Frage sollte deswegen lauten, ob die im „Aufruf“ enthaltenen Handlungsvorschlägen den potenziell noblen Absichten gerecht werden. Die klare Antwort lautet: nein. Mehr noch, setzte man sie tatsächlich um, würde man das Gegenteil erreichen.

Ein kurzer Blick in die Geschichte mag hier weiterhelfen:

• George Bushs freundliche Gesten an Putin, die Idee des „Wandels durch Handel“ in Deutschland, die Einführung des Nato-Russland-Rats, Barack Obamas und Hillary Clintons Reset-Politik führten nicht zu einer Zähmung Putins. Dabei sind diese Handlungen als sehr wohlwollend einzustufen im Angesicht der Tatsache, dass zu dem Zeitpunkt Russland bereits Tschetschenien in Schutt und Boden gelegt hatte, bald darauf einen Krieg gegen Georgien führte und die Reste der russischen Demokratie zerstörte. Es folgte jedenfalls kein Frieden, sondern die Krim-Annexion, Russlands Luftangriffe in Syrien, der russische Angriff auf den Donbas und seine Besatzung, die von täglichem Terror geprägt war. Sogar ein Konzentrationslager wurde von den Besatzern errichtet, wie man u.a. in de Memoiren des Überlebenden Stanislav Aseyevs nachlesen kann.

• Im Vertrag von Paris wurde 1973 der Rückzug der Amerikaner aus Vietnam verhandelt. Als Friedensvertrag bezeichnet, hatte er nur einen kurzzeitigen Waffenstillstand zufolge. Letzteres klingt im aktuellen Kontext seltsam bekannt. Binnen kürzester Zeit wurde das Land von den nordvietnamesischen Kommunisten in eine brutale totalitäre Diktatur verwandelt. Die Bootsflüchtlinge, die 1979 in schlimmsten Verhältnissen auf ungeeigneten und überladenen Booten flüchteten, stellten dabei nur die Spitze des Eisbergs dar.

• Als 1975 der US-Kongress seine Unterstützung für Kambodschas damaligen Machthaber Lon Nol zurückzog, warnte Präsident Gerald Ford, dass dies zu einem Horror ungeahnten Maßes führen würde. Er sollte leider Recht behalten – das Pol-Pot Regime, das dadurch erst an die Macht kommen konnte, gilt bis heute als eines der größten Schreckensregime der Menschheitsgeschichte.

• Der Genozid an den Bosniaken in Srebrenica hätte verhindert werden können, wenn nicht vorher ein Waffenembargo für ganz Jugoslawien eingeführt worden wäre. Diesem lag die Überlegung zugrunde, dass man dadurch eine – man ahnt es – „Eskalation vermeiden könnte“.

Zentrale Leitgedanken des „Aufrufs zum Frieden“ fanden sich in unterschiedlichen Kontexten in den hier kurz skizzierten geschichtlichen Gegebenheiten wieder. Sie erreichten nie ihr Ziel. Das spieltheoretische Argument, das eine ausgestreckte Hand auch autoritäre böswillige Regime zu einer konstruktiven Reaktion bewegen wird, mag nicht immer vollkommen falsch sein, ist aber zumindest mit größter Vorsicht zu genießen. Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt würden de facto zu einem russischen Terrorregime auf weiten Teilen des ukrainischen Territoriums führen. Massengräber in den von der Ukraine zurückeroberten Städten sowie Genozidverherrlichung im russischen Staatsfernsehen und in Putins eigenen Reden lassen keinen anderen Schluss zu. Das wäre gerade kein Ende des Leidens und Sterbens der ukrainischen Zivilbevölkerung. Mehr noch, es steht zu befürchten, dass ein Waffenstillstand von Russland genutzt werden würde, um Kräfte für einen erneute Ausweitung seiner Aggression zu sammeln.

Gute Intentionen hin oder her – wer sich in den öffentlichen Diskurs einmischt, ist dazu verpflichtet, empirisch und wissenschaftlich auf solidem Boden zu stehen sowie Verantwortungsethik von Gesinnungsethik zu trennen.

Es nützt den Ukrainern nichts, wenn gute Intentionen in einem falschen Frieden münden. Denn falscher Frieden kann in der Ukraine nur zu einem führen: zu echtem Genozid.

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